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Bayreuther Festspiele

Idee

Wagners Ablehnung des zeitgenössischen Repertoiretheaters, welches er nach seinen Erfahrungen als Kapellmeister in Magdeburg, Königsberg und Riga qualitativ und ästhetisch als unzulänglich und minderwertig empfand, erweiterte sich unter dem Einfluß vormärzlicher Strömungen während seiner Tätigkeit als Dresdner Hofkapellmeister (1842-1849), insbesondere seiner intensiven Feuerbach-Lektüre und durch den Umgang mit revolutionär gesinnten Freunden wie August Röckel und Michail Bakunin, zu einer übergreifenden Kulturkritik. Deren grundlegende These, daß der kulturelle Verfall nur eine allgemeine Degeneration von Politik und Gesellschaft offenbare, deren Ursache eine sich vorzugsweise im Judentum verkörpernde Vereinigung von Industrie und Kapital zu einer alles beherrschenden Macht sei, führt Wagner zu dem Schluß, daß nur durch Revolution eine ästhetische und demokratische Öffentlichkeit nach dem idealisierten Vorbild der antiken griechischen Polis hervorgebracht werden könne. Bereits 1848 entsteht auch ein erster Entwurf zu einem Drama Siegfrieds Tod, der späteren Götterdämmerung,und damit dem letzten Teil der späteren Tetralogie Der Ring des Nibelungen, welche Wagners Kritik an Machtpolitik und Kapitalismus als Antagonismus von Liebe und Freiheit und damit seine revolutionären Überzeugungen aufgreift. Zugleich war Wagner davon überzeugt, daß die Tetralogie ihrem Umfange, aber auch ihrem Gehalt und ihrer Bedeutung nach unter den Bedingungen der bestehenden Theater kaum angemessen aufgeführt werden könne. Daher sollte das »Bühnenfestspiel« Der Ring des Nibelungen – gleichsam als zeitgenössisches Pendant zur Orestie des Aischylos – im Rahmen festlicher Aufführungen aus der vermeintlich selbstgefälligen Routine des verhaßten Repertoiretheater-Betriebs herausgelöst und so eine grundlegende Alternative zum bestehenden Theater geschaffen werden. Die Genese des Festspielgedankens ist demnach eng mit der Entstehungsgeschichte des Ring verbunden. Mit dessen Aufführung unter besonderen zeitlichen, räumlichen und diskursiven Bedingungen sollte ein exklusiver Kunstraum entstehen, der von der degenerierten zeitgenössischen Zivilisation abgetrennt sein und in dem schließlich auch die Politik aufgehoben werden soll. Die Festspiel-Idee ist mithin ein theaterästhetisches Konzept besonderer, maßstabsetzender Produktions- und Rezeptionsbedingungen und -verhältnisse für das eigene paradigmatische Werk als Modell einer ästhetischen Öffentlichkeit nach dem idealisierten hellenischen Vorbild, dem wiederum jenes revolutionäre gesellschaftspolitische Ideal Wagners eines genossenschaftlich organisierten und herrschaftsfreien Gemeinwesens zugrunde liegt, welches er exemplarisch in den Meistersingern von Nürnberg gestaltet und das selbst in seinen späten kunstreligiösen und kulturtheoretischen Überlegungen seine anarchistischen Wurzeln kaum verleugnen kann.

Nach der Enttäuschung der gescheiterten Märzrevolution revidiert Wagner seine ursprünglichen Ideen und Überzeugungen zwar dem Grunde nach nicht oder gibt sie gar auf, es findet aber ein Paradigmenwechsel statt: Vor allem unter dem Einfluß der Philosophie Schopenhauers ab 1854 erwartet Wagner die Erneuerung eines ästhetischen Bewußtseins der Öffentlichkeit nun nicht mehr von einer gewaltsamen Änderung der äußeren politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern begreift vielmehr die Kunst als Paradigma und idealtypisch-utopisches Vorbild jener anzustrebenden politisch-gesellschaftlichen Verfassung. Die Festspielkonzeption entwickelt sich so von einer a priori kulturpolitischen Idee zur Vorstellung einer exklusiven »splendid isolation«, die in »machtgeschützter Innerlichkeit« (Thomas Mann) die angestrebten kulturellen Strukturen zunächst in nuce verwirklichen soll, um durch die Wirkungen der in diesem Rahmen dargebotenen Werke das Konzept zunächst zu bestätigen und stärken, damit die Festspiele so als Inbegriff und Symbol jenes von Wagner 1850 beschriebenen »Kunstwerks der Zukunft« fungieren können.

Die kultisch-religiösen Implikationen der Festspiel-Idee, so wie Wagner sie im wesentlichen in den sogenannten »Regenerationsschriften« im Umkreis des Parsifal und dort im Rahmen seiner späten kulturtheoretischen Überlegungen darlegt, entspringen ebenfalls seiner vormärzlich-jungdeutschen Religionskritik und ihrem anthropologischen Materialismus. Durch Aufklärung, Naturwissenschaft und Positivismus habe die Religion ihre einstmals sinnstiftende Funktion verloren und existiere nur noch als sinnentleertes Ritual. Der Kunst sei es daher vorbehalten, so Wagner in Religion und Kunst (1880), die Sinngehalte der Religion in sich aufzunehmen und zu transportieren. Aufgeladen mit dem buddhistisch inspirierten Entsagungsethos Schopenhauers zur Überwindung des »Willens« und dessen Kritik der klassischen Metaphysik mit dem Ziel menschlicher Selbsterlösung sowie in Fortsetzung seiner linkshegelianischen Wurzeln negiert Wagner konsequenterweise auch jeden christlichen Konfessionalismus, sondern projiziert diese religiöse Aufgabe und Funktion der Kunst in den Begriff des »Bühnenweihfestspiels«, als welches er den Parsifal bezeichnet. Insgesamt liegt der Festspiel-Idee also nicht nur ein reformorientiertes ästhetisches Denken zum Zwecke einer ebenso hochwertigen wie selbstbewußten Produktions- und Rezeptionsform des Theaters zugrunde, welches Stätte des »Gesamtkunstwerks« als Vereinigung der Einzelkünste einerseits sowie Darstellern und Zuschauern zu einer schöpferischen Gemeinschaft andererseits sein solle, sondern die Idee beinhaltet gleichermaßen ein umfassendes Integrationskonzept von Politik, Gesellschaft, Kunst, Religion und Öffentlichkeit (Volk). Diese Integration sei Folge einer notwendig erforderlichen, umfassenden »Regeneration« von Kultur und Gesellschaft unter Überwindung der Unterschiede und trennenden Schranken von Nationen, Sprache, Konfessionen und Rassen. Dieser Regenerationsgedanke verknüpft jedoch monomanische Kulturideologie mit Gobineauscher Rassenlehre (das Faktum rassischer Ungleichheit der Menschen ziehe einen Herrschaftsanspruch der überlegenen »arischen«, weißen Rasse nach sich), einem fragwürdigen Reinheitsbegriff und einem zunehmend obsessiven Antisemitismus und erwies so v.a. in seiner intensiven völkischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte sein prekäres weltanschauliches Potential bis hin zu Ideologie und Propaganda des Nationalsozialismus und dessen kultureller Symbiose mit den Bayreuther Festspielen.

 

Entstehung

Wagner äußerte die Idee besonderer Musikfestspiele für den Ring erstmals in einem Brief an Ernst Benedikt Kietz vom 14. September 1850: »Ich denke daran, den Siegfried wirklich noch in musik zu setzen, nur bin ich nicht gesonnen, ihn auf's geradewohl vom ersten besten theater aufführen zu lassen: im gegentheil trage ich mich mit den allerkühnsten plänen, zu deren verwirklichung jedoch nichts geringeres als mindestens die summe von 10,000 Thaler gehört. Dann würde ich nämlich hier, wo ich gerade bin, nach meinem plane aus bretern ein theater errichten lassen, die geeignetsten sänger dazu mir kommen und Alles nöthige für diesen einen besonderen fall mir so herstellen lassen, daß ich einer vortrefflichen Aufführung der oper gewiß sein könnte.« (Wagner, Sämtliche Briefe Bd. 3, S. 404f.). In der autobiographischen Mittheilung an meine Freunde (1851) wird der Festspiel-Plan öffentlich: »Ich beabsichtige meinen Mythos in drei vollständigen Dramen vorzuführen, denen ein großes Vorspiel vorauszugehen hat. Mit diesen Dramen, obgleich jedes von ihnen allerdings ein in sich abgeschlossenes Ganzes bilden soll, habe ich dennoch keine »Repertoirstücke« nach den modernen Theaterbegriffen im Sinne, sondern für ihre Darstellung halte ich folgenden Plan fest: - An einem eigens dazu bestimmten Feste gedenke ich dereinst im Laufe dreier Tage mit einem Vorabende jene drei Dramen nebst dem Vorspiele aufzuführen: den Zweck dieser Aufführung erachte ich für vollkommen erreicht, wenn es mir und meinen künstlerischen Genossen, den wirklichen Darstellern, gelang, an diesen vier Abenden den Zuschauern, die um meine Absicht kennen zu lernen sich versammelten, diese Absicht zu wirklichem Gefühls- (nicht kritischem) Verständnisse künstlerisch mitzutheilen.« (Wagner, Sämtliche Schriften und Dichtungen, Bd. 4, S. 343f.).

Doch erst 25 Jahre später sollte Wagner diese Idee in ►Bayreuth verwirklichen können. Entscheidend war dabei die »Errettung« Wagners aus einer tiefen persönlichen und finanziellen Krise durch König Ludwig II. von Bayern 1864, unmittelbar nach dessen Thronbesteigung. Das lebenslange Mäzenat des Königs ermöglichte Wagner nicht nur, seine kompositorischen Arbeiten fortzusetzen, sondern die dadurch gewonnenen materiellen Möglichkeiten rückten erstmals auch eine Realisierung des Festspiel-Gedankens in greifbare Nähe. Der Plan zu einem Wagner-Theater in München scheiterte jedoch durch die vom Kabinett des Königs erzwungene Ausweisung Wagners. Erst ab 1870 in Tribschen bei Luzern rückte ►Bayreuth ins Zentrum von Wagners Interesse, und bald nach einer ersten Inspektionsreise beschloß man, nach ►Bayreuth überzusiedeln und sich dort zur Begründung des Festspiel-Unternehmens niederzulassen.

Für die Finanzierung von Bau und Durchführung der Festspiele wurden 300.000 Taler veranschlagt, die durch die Ausgabe von 1.000 sogenannten »Patronatsscheinen« zu je 300 Talern aufgebracht werden sollten. Jeder Patron sollte Anspruch auf einen Sitzplatz erhalten, die verbleibenden 500 Plätze sollten nach Wagners Vorstellung gratis unbemittelten Kunstfreunden zur Verfügung gestellt werden. Da mehrheitlich jedoch keineswegs an einen Erfolg von Wagners Plänen geglaubt wurde, erwies sich das Patronats-System nicht als sonderlich erfolgreich, die Zeichnung von Patronatsscheinen verlief weitaus schleppender als geplant. So fand das Richtfest des Festspielhauses am 2. August 1873 in gedrückter Stimmung statt. Die zunächst für 1874 geplanten Festspiele mußten zunächst auf 1875, schließlich auf 1876 verschoben werden. Zu Beginn des Jahres 1874 lehnte das königliche Hofsekretariat in München die Übernahme einer finanziellen Garantie für das Festspielunternehmen ab, womit das Unternehmen vor dem Ruin stand. Erst durch die persönliche Intervention Ludwigs II., der am 25. Januar 1874 an Wagner schrieb: »Nein! Nein und wieder nein! So soll es nicht enden; es muß da geholfen werden! Es darf Unser Plan nicht scheitern!«, wurde schließlich doch ein Kredit und damit zumindest für den Augenblick Entlastung gewährt. Zur Finanzierung wurde nunmehr jedoch ein Kartenverkauf notwendig, wodurch der entgeltfreie Zugang schließlich nicht verwirklicht werden konnte. Am 1. August 1875 wurden die Bauarbeiten am Festspielhaus abgeschlossen und die Proben begannen. Vom 13. – 17. August 1876 wurden mit der Gesamt-Uraufführung des Ring des Nibelungen (die Uraufführungen von Rheingold und Walküre hatten bereits am 22.9.1869 und 26.6.1870 in München stattgefunden) die 1. Bayreuther Festspiele eröffnet. Trotz des epochalen Erfolges, den allein die Realisierung der Bayreuther Festspiele bedeutete, war Wagner mit der Ausführung der Darstellung, insbesondere im Hinblick auf Bühne und Kostüme, unzufrieden und versprach grundlegende Änderungen im folgenden Jahr. Gleichwohl wurden diese Aufführungen petrifiziert und über Jahrzehnte zum geradezu sakrosankten stilistischen Vorbild von Darstellung und Inszenierungsstil von Wagners Werken, nicht nur in Bayreuth. Aufgrund eines Defizits von 148.000 Talern konnten die Festspiele jedoch zunächst nicht fortgesetzt, das Festspielhaus mußte bis auf weiteres geschlossen werden. Vor allem das Honorar des Schott-Verlages für die Parsifal-Partitur von 100.000 Mark ermöglichte 1882 mit der Uraufführung des 1877 begonnenen Parsifal am 26.7. die zweiten und zu Wagners Lebzeiten bereits letzten Bayreuther Festspiele (bis 29.8.).

 

Geschichte

Nach Wagners Tod übernahm seine Witwe Cosima die Leitung der Festspiele. Mit den Bayreuther Erstaufführungen von Tristan und Isolde 1886, Die Meistersinger von Nürnberg 1888, Tannhäuser 1891, Lohengrin 1894, der Neuinszenierung des Ring 1896 und schließlich des Fliegenden Holländer 1901 baute sie das Bayreuther Repertoire auf wie Wagner es sich gewünscht hatte (also ohne die drei Jungendwerke Die Feen, Das Liebesverbot und Rienzi) und wie es bis heute besteht. Ihr besonderes Verdienst besteht mithin in der Etablierung der zunächst eher akzidentiellen Unternehmung zur festen Institution, wobei noch jedes zweite bis dritte Jahr als Pausenjahr für die Vorbereitung neuer Produktionen genutzt wurde. Durch Verrechnung mit den Tantieme-Einnahmen aus den Münchner Wagner-Aufführungen wurden bis 1906 nach dreißigjähriger Laufzeit auch sämtliche Kredite des bayerischen Staates getilgt, das Festspielunternehmen war mithin zum Ende der Ära Cosima praktisch schuldenfrei. Nachdem Cosima Wager am 6. Dezember 1906 einen Schlaganfall erlitten hatte, von dessen Folgen sie sich bis zu ihrem Tod am 1. April 1930 nie mehr vollständig erholen sollte, übergab sie die Leitung der Festspiele ab 1907 ihrem Sohn Siegfried, der schon seit Jahren (ab 1892 Solorepetitor, 1896 erstes Ring-Dirigat neben Hans Richter und Felix Mottl) sukzessive an diese Aufgabe herangeführt worden war.

Als Regisseur und Bühnenbildner unternahm Siegfried Wagner, der eine besondere Neigung zur Architektur hatte, vorsichtige Neuerungen und Modernisierungen, bevor der Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 einen Abbruch der Festspiele erzwang. Aufgrund der Wirtschaftskrise nach dem Krieg konnten die Festspiele erst 10 Jahre später 1924 fortgesetzt werden, die bislang längste Unterbrechung in der Festspielgeschichte. Hatte sich schon vor dem Krieg eine ideologische Inbesitznahme durch den Bayreuther Kreis und nationalkonservative Strömungen bemerkbar gemacht, so wurde in den Zwanziger Jahren eine zunehmende politische Aufladung der Festspiele im Sinne der deutschnationalen Reaktion und ihrer gegen die Weimarer Republik gerichteten Tendenzen spürbar. Bereits am 1.10.1923 war Adolf Hitler erstmals in Wahnfried zu Gast und fand in Siegfried Wagners Ehefrau Winifred sofort eine begeisterte Anhängerin. 1927 konnte Siegfried Wagner Tristan und IsoldeTannhäuser unter der musikalischen Leitung von Arturo Toscanini. Doch bereits während der Proben hatte Siegfried Wagner am 16. Juli einen Herzinfarkt erlitten, an dessen Folgen er am 4. August 1930 verstarb. erstmals vollständig neu inszenieren und 1930 schließlich gelang – ermöglicht durch eine von Winifred Wagner organisierte Spende von 100.000 RM zu Siegfried Wagners 60. Geburtstag – auch eine spektakuläre Neuproduktion des

Nach Siegfried Wagners Tod übernahm seine Witwe Winifred, unterstützt durch den Berliner Generalintendaten und Dirigenten Heinz Tietjen, die Leitung der Festspiele. Nach der Wiederholung des Spielplans von 1930 im Jahre 1931 und nach einem Pausenjahr 1932 wurden im 50. Todesjahr Wagners 1933 sowohl Ring wie Meistersinger neu inszeniert. Vor dem Hintergrund der Regierungsübernahme durch die NSDAP und der Wahl Adolf Hitlers zum Reichskanzler wurden die Festspiele auch zur Bühne für die demonstrative Selbstdarstellung der nationalsozialistischen Machthaber. Während der gesamten Zeit des Dritten Reichs blieben die Festspiele als Ausdruck des Kulturselbstverständnisses und der propagandistischen Selbstdarstellung in engem Zusammenhang mit dem NS-Regime. Personifiziert erschien diese Allianz in der engen persönlichen Freundschaft zwischen Adolf Hitler und Winifred Wagner. 1934 erfolgte die erste vollständige Neuinszenierung des ParsifalLohengrin dem nationalsozialistischen Regime am Höhepunkt seiner Macht und auch außenpolitischen Anerkennung im Jahr der Tausendjahrfeiern des Deutschen Reichs und der Olympischen Spiele in Berlin außerordentlichen musikalischen und inszenatorischen Glanz. Seit 1936 finden die Festspiele auch im bis heutige geltenden jährlichen Turnus statt. 1937 erfolgte nach dem Tod Alfred Rollers am 21.6.1935 bereits eine weitere Neugestaltung des Parsifal in den Bühnenbildern des jungen Wieland Wagner, 1938 eine Neuproduktion von Tristan und Isolde und 1939 des Fliegenden Holländers. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde die Abwicklung der »Kriegsfestspiele« von der NS-Organisation »Kraft durch Freude« (KdF) übernommen. Sowohl der vielen Nazis als dekadent geltende Tristan als auch Parsifal mit seiner Idee einer Erlösung durch mitleidige Liebe paßten im Krieg nicht mehr in das propagandistische Konzept und Selbstbild der Machthaber und verschwanden vom Spielplan. Hitler selbst besuchte bereits 1940 letztmals die Festspiele zu einer Aufführung der Götterdämmerung. Bis 1942 wurden ausschließlich Ring und Holländer, in den Jahren 1943 und 1944 nurmehr die Meistersinger von Nürnberg als folkloristische Reichsparteitags- und Durchhalte-Oper gegeben. seit der Uraufführung 1882. Diese Produktion in den Bühnenbildern von Alfred Roller stieß auf den erbitterten Widerstand der »Alt-Wagnerianer«, für die die Uraufführungs-Inszenierung in den Bühnenbildern »auf denen das Auge des Meisters geruht hat« sakrosankt war. Auch die verstärkte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Winifred Wagners, dokumentiert beispielsweise durch den Einzug eines Balkons für die Presse zwischen Logen und Galerie, wurde von diesen Kreisen beklagt. Nach einem weiteren Pausenjahr 1935 verlieh 1936 eine Neuinszenierung des

Um nach dem Krieg einen ideologisch und politisch möglichst unbelasteten Neubeginn der Festspiele zu ermöglichen, mußte die aufgrund ihrer politischen und persönlichen Nähe zum nationalsozialistischen Regime des Dritten Reichs und speziell ihrer engen persönlichen Freundschaft mit Adolf Hitler belastete und in zwei Spruchkammerverfahren als Mitläuferin eingestufte Winifred Wagner die Leitung der Festspiele an ihre beiden Söhne Wieland und Wolfgang abgeben. 1951 fand mit Neuinszenierungen des Parsifal und des Ring unter der Regie Wieland Wagners sowie der Meistersinger von Nürnberg unter Rudolf Otto Hartmann die Wiedereröffnung der Festspiele statt. Es war zugleich die Geburtsstunde »Neu-Bayreuths«, das durch den abstrahierend-stilisierenden Inszenierungsstil Wieland Wagners und dessen psychologische Dramaturgie geprägt wurde und das einen ebenso drastischen wie nachhaltigen Bruch mit der bisherigen inszenatorischen Tradition und ideologischen Geschichte markierte. Von nun an galt auch das Prinzip jährlicher Neuinszenierungen jeweils eines Werkes. Mit Gesellschaftervertrag zwischen Wieland und Wolfgang Wagner vom 30.4.1962 wurde die gemeinschaftliche Leitung der Festspiele festgeschrieben, die bis zum frühen Tod Wieland Wagners im erst 50. Lebensjahr am 17.10.1966 andauerte.

Seit 1967 und bis heute stehen die Festspiele unter der alleinverantwortlichen Leitung Wolfgang Wagners. Mit August Everding wurde 1969 der erste »externe« Regisseur in der Festspielgeschichte für die Neuinszenierung des Fliegenden Holländers verpflichtet. Die Neuproduktion des Tannhäuser in der Inszenierung von Götz Friedrich (Bühnenbild und Kostüme: Jürgen Rose) 1972 bedeutete den in der Folge stets skandalträchtigen Einzug des »Regietheaters« auf der Festspielbühne und damit eine Öffnung für einen interpretatorischen und stilistischen Pluralismus, der unter dem Leitbegriff der »Werkstatt Bayreuth« eine stets fortschreitende, facettenreiche Vielfalt der Sichtweisen auf das Werk Wagners ermöglichte. 1973 wurde das Festspielhaus der neugegründeten ►Richard-Wagner-Stiftung übereignet und das bisherige private Familienunternehmen so auf eine öffentlich-rechtliche Basis gestellt.

Die Neuinszenierung des »Jahrhundert-Rings« durch Patrice Chéreau (Bühnenbild: Richard Peduzzi, Kostüme: Jaques Schmidt, Dirigent: Pierre Boulez) aus Anlaß des Zentenariums der Festspiele 1976 projizierte die mythologische Bezüge auf Requisiten und Kostüme des Industriezeitalters und sorgte zunächst für den heftigsten Eklat der Festspielgeschichte, bevor sich die Produktion nach ihrer turnusgemäßen Laufzeit von 5 Jahren 1980 endgültig durchgesetzt hatte. Die Holländer-Inszenierung von Harry Kupfer1978 (Bühnenbild: Peter Sykora, Kostüme Reinhard Heinrich) zeigte das Drama als Wahntraum Sentas in psychologischer Konsequenz, beklemmender Fantastik und fulminanter Dynamik. Götz Friedrichs »schwarzer« Inszenierung des Lohengrin (Bühnenbild: Günther Uecker, Kostüme: Frieda Parmeggiani) von 1979 folgten 1981 Jean-Pierre Ponelles Tristan-Interpretation, bei der sich Isoldes Liebestod nur im Fieberwahn Tristans ereignet, und Wolfgang Wagners Meistersinger-Version, in der Beckmesser eine genüßliche Aufwertung erfuhr. Den Jubiläums-Parsifal von 1982 ließ Götz Friedrich in der umgekippten Kriegsruine eines faschistischen Baus spielen (Bühnenbild und Kostüme: Andreas Reinhardt). Im Ring 1983 (Regie: Peter Hall, Bühnenbild und Kostüme: William Dudley) wechselten unter der musikalischen Leitung von Sir Georg Solti naturalistische Anklänge mit Demonstrationen aufwendiger Bühnentechnik. In seiner ersten Bayreuther Tannhäuser-Inszenierung griff Wolfgang Wagner 1985 auf die ursprüngliche »Dresdner Fassung« und – unter Verzicht auf eine spektakuläre Konzeption – auf eine werkorientierte Regie mit optischen Anklängen an die 50er Jahre zurück. Der Filmregisseur Werner Herzog inszenierte 1987 einen neoromantischen Lohengrin in einem von Henning v. Gierke (Bild und Kostüme) gestalteten magischen Realismus. Umstritten war auch Harry Kupfers Neuinszenierung des Ring 1988 unter der musikalischen Leitung von Daniel Barenboim und im Bühnenbild von Hans Schavernoch (Kostüme: Reinhard Heinrich), das von Leitern, Laser und Tschernobyl-Reminiszenzen dominiert wurde. Eine im Ritual erstarrte Gralswelt zeigte Wolfgang Wagner im Bühnenbild zu seiner Parsifal-Inszenierung 1989. Von Dieter Dorns Realisierung des Fliegenden Holländer 1990 bleibt das schwebende, kopfüber rotierende Haus mit der Spinnstube (Bühnenbild und Kostüme: Jürgen Rose) in Erinnerung. Heiner Müllers Inszenierung von Tristan und Isolde 1993 (Bühnenbild: Erich Wonder, Kostüme: Yohji Yamamoto) interpretierte die innere Handlung als Kammerspiel mit suggestiver und strenger, jedoch expressiver Reduktion in Bühnenbild und Gestik und erzeugte so eine konzentrierte Reminiszenz zum abstrakten »Neubayreuther« Inszenierungsstil. Die Ring-Inszenierung 1994 von Alfred Kirchner (Regie) und Rosalie (Bühnenbild und Kostüme) strebte mit einem ästhetizistischen Fokus auf die Optik von Form und Farbe einen Zugriff auf eine de-mythifizierte, spielerische Werksicht an und bildete so einen interpretatorischen Gegensatz zu den ideologiekritischen Ring-Deutungen von Chéreau und Kupfer; James Levine dirigierte im ersten Jahr den langsamsten Ring in der Festspielgeschichte mit mehr als 15 Stunden! Mit seiner Neuinszenierung der Meistersinger verabschiedete sich Wolfgang Wagner 1996 als Regisseur und stellte das Drama in den Kontext seiner sozialen Aspekte in einer Zeit des gesellschaftlichen und historischen Umbruchs sowie des Konflikts zwischen Menschheit und Natur, indem er farbenfrohe und bühnentechnische Eindrücke mit der traditionellen Abstraktheit des Neubayreuther Stils mischte. 1999 interpretierte Keith Warner Lohengrin konsequent als dunkle Tragödie in einer metaphorisch-zeichenhaften, magischen Inszenierung (Bühnenbild: Stefanos Lazaridis, Kostüme: Sue Blane). Die Neuinszenierung des Ring durch Jürgen Flimm im Bühnenbild von Erich Wonder (Kostüme: Florence v. Gerkan) begriff im Jahr 2000 die Parabel von Macht und Liebe als aktuelle Handlung in einer durch Politik ruinierten Welt. Der Mythos wird hier ganz in seinem zeitgemäßen Gehalt begriffen, die Tragödie der Figuren dieses Ring ist die Tragödie der menschlichen Lieblosigkeit, der eine Hoffnung nur in metaphysisch-ästhetischen Bereichen bleibt. 2002 zeichnete Philippe Arlaud für Inszenierung und Bühnenbild einer Neuinszenierung eines von Licht und Farbe beherrschten Tannhäuser verantwortlich (Kostüme: Carin Bartels), der unter der musikalischen Leitung von Christian Thielemann stand. 2003 erfolgte eine Neuinszenierung des Fliegenden Holländers durch Claus Guth (Bühnenbild und Kostüme: Christian Schmidt), der die Handlung in Anspielung auf die Doppelgänger-Metaphorik E.T.A. Hoffmanns und Strindbergsche Ich-Brechung als Vater-Trauma des Kindes Senta in einen enigmatischen Treppenhaus-Durchgangsraum verlegte. 2004 lieferte der Aktionskünstler Christoph Schlingensief unter dem Dirigat von Pierre Boulez eine erneut umstrittene Neuproduktion des Parsifal (Bühnenbild: Daniel Angermayr und Thomas Goerge, Kostüme: Tabea Braun), die den Stoff durch assoziativ-additive Akkumulation verschiedenster Bild- und Symbolebenen unter Einbeziehung von Video-Projektionen in einem in sich weitgehend geschlossenen Verweissystem auf eine universelle, interkulturale Religiosität, Ritualität und Kulthaftigkeit bezog.

 

Literatur

M. Karbaum, Studien zur Geschichte der Bayreuther Festspiele (1876–1976), Regensburg 1976. · F. Spotts, Bayreuth: Eine Geschichte der Wagner-Festspiele, München 1994. · R. Wagner, Sämtliche Briefe, Bd. 3, hrsg. v. Gertrud Strobel und Werner Wolf, Leipzig 21983. · R. Wagner, Eine Mittheilung an meine Freunde, in: Sämtliche Schriften und Dichtungen (Volksausgabe), Bd. 4, Leipzig o.J., S. 230ff.

 

Website der Bayreuther Festspiele