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Wahnfried

»Hier wo mein Wähnen Frieden fand – Wahnfried – sei dieses Haus von mir benannt.« So lautet der programmatische Taufspruch Wagners für sein Bayreuther Wohnhaus, welcher der dreigliedrigen Fassade seines Altersruhesitzes am Ort der Verwirklichung seiner Festspiel-Idee auf drei Tafeln eingraviert wurde. »Erst als rund Siebzigjähriger konnte Wagner, nach ruhelosem Wanderleben und bislang ungesicherter finanzieller Existenz, in einem eigenen Haus die ersehnte, endgültige Heimstatt im Kreise seiner Familie finden. Wie der Bau seines eigenen Festspielhauses, so wurde auch die Errichtung seiner Villa dem umstrittenen, von der Aura des Sensationellen umwitterten Künstler in der Öffentlichkeit vielfach mißgönnt und als Verschwendung ausgelegt. Dabei war ein derartiger Wohnhausbau für jeden einigermaßen vermögenden Bürger dieser Zeit eine Selbstverständlichkeit. Allerdings hatten Künstler bis dahin kaum zu jenem wohlhabenden Besitzbürgertum gehört, das sich ein Wohnen auf eigenem Grund und Boden leisten konnte. Die Verwirklichung seines langgehegten Traumes ist also als ein äußeres Zeichen von Wagners gesellschaftlichem Aufstieg, seiner schwer erkämpften sozialen Gleichberechtigung und Anerkennung zu werten – wobei nicht zu übersehen ist, daß seiner wirtschaftlichen Existenz auch in dieser Spätzeit doch noch etwas letztlich Ungesichertes anhaftete [...]. Mit dem Bau des Hauses Wahnfried 1872-74 entstand ein typisches Künstlerheim der bürgerliche Epoche – ein frühes Beispiel jenes in der Folge vor allem in der Kunststadt München in markanten Beispielen mehrfach auftretenden Typus.« (Habel, S. 491.).

Unter der Flucht und dem Exil als bestimmenden biographischen Leitmotiven hat Wagner sein Leben lang gelitten, und der steten Sehnsucht nach einem festen bürgerlichen Wohnsitz stand zumindest bis zur Übersiedelung von München nach Tribschen bei Luzern 1866 (auch dieses Haus gehörte Wagner freilich nicht) eine Wirklichkeit mehr oder weniger dauerhafter Provisorien gegenüber, die er zumeist bestenfalls als »Asyl« (Benennung Wagners für das Gartenhaus in unmittelbarer Nachbarschaft der Villa ►Wesendonck in Zürich, das er 1857/58 bewohnte) empfand. Bereits vor der ersten Informationsreise nach ►Bayreuth vom 17.-20.4.1871 und ohne Bayreuth zu erwähnen, hatte Wagner seinem königlichen Gönner und Mäzen Ludwig II. in einem Brief vom 1.3.1871 neben Andeutungen über die Ansiedlung des Festspielunternehmens in Bayern auch eindringlich sein Herzensanliegen einer definitiven, eigenen Heimstatt vorgetragen: »Es ist mir nöthig endlich zu wissen, wohin ich gehöre, wo ich meinen festen Wohnsitz nehme[n] und für meine Familie im bürgerlichen Sinne sorgen kann. Ich habe viele Jahre meines Lebens dem wüsten Walten des Zufall’s anheim geben müssen, nenne keinen Besitz mein und lebe wie ein Flüchtling in der Welt. Für den so wichtig gewordenen Rest meines Lebens kann ich hier, wohin der Zufall mich warf, nicht verbleiben; ich muss dort leben, wo ich mir zugleich einen angemessenen Wirkungskreis bereitet wissen kann: diess muss im Herzen Deutschland’s sein, und glücklich bin ich, diesen jetzt auserwählten Punkt in Ihrem Königreiche inbegriffen gefunden zu haben. Dort wünsche ich meinen dauernden Heerd zu gründen, um ihn als lebenvolles Eigenthum dereinst meinen Erben hinterlassen zu können.« (König Ludwig II und Richard Wagner, Briefwechsel Bd. 2, S. 321f.).

Nachdem Wagner in Bayreuth kein passendes Haus fand, wählte er ein Wiesengrundstück am Rennweg (heute Richard-Wagner-Straße) direkt am Hofgarten als Bauplatz für sein künftiges Wohnhaus. Am 6.1.1872 teilte der königliche Hofsekretär Lorenz v. Düfflipp Wagner mit, daß der König ihn ermächtigt habe, Wagner sukzessive bis zu 25.000 Talern als Beihilfe zum Grundstückserwerb und Wohnhausbau auszuzahlen. Auf der Basis von Wagners Disposition für ein Wohnhaus in Zürich von 1856 fertigte der Berliner Bauinspektor Wilhelm Neumann die Entwürfe. Die Erstellung der genauen Baupläne und deren Ausführung übertrug Wagner jedoch dem Bayreuther Baumeister Carl Wölfel, nachdem sich Neumann als säumig erwiesen hatte. Wagner erwarb das 180 Meter lange und durchschnittlich 75 Meter breite Grundstück am 1.2.1872 für 12.000 Gulden und fand ab 27.4. zunächst Unterkunft im Schloßhotel Fantaisie in Donndorf, einige Kilometer westlich von Bayreuth, bevor die Familie Ende September das Wölfel gehörende Haus Dammallee 7 in der Stadtmitte bezog. Am 20.6.1872 erteilte der Bayreuther Stadtmagistrat die Baugenehmigung, am 15.7. schloß Wagner mit Wölfel den Bauvertrag über 35.000 Gulden.

Die Bau- und Einrichtungsarbeiten gestalteten sich weitaus schleppender als geplant und wurden für Wagner zu einer Quelle ständigen Verdrusses, weshalb er das Haus zu dieser Zeit nur »Ärgersheim« nannte (Cosima-Tagebücher I, 23.12.1873, S. 767.). Die Außenmauern bestehen ortstypisch aus Sandsteinquadern mit Ziegelmauerwerk innen. Bemerkenswert bei der Innengestaltung der Räume ist – entgegen allen zeitgenössischen Vorwürfen von Verschwendungssucht – Wagners ausdrückliche Absage an jeden Luxus vor allem bei der Materialwahl (Briefe an L. Gedon v. 18.4. u. 7.5.1873, in: Habel, S. 501f.). Der Grundriß des dreitraktigen Hauses mit Keller, Erd-, Ober- und Zwischengeschoß auf einer Grundfläche von rd. 21 x 17 Metern ist ebenso eine Reminiszenz an die oberitalienischen Renaissance-Villen im Stile Palladios wie die Disposition der Fassaden und die Rotunden-Apsis, welche den Wohn- und Bibliotheksraum (»Saal«) zur südlichen Gartenseite hin abschließt. Die zentrale, haushohe Halle (Firsthöhe 16 Meter) mit im Obergeschoß umlaufender Galerie und Wänden in pompejanischem braunrot diente als Empfangs- und Repräsentationsraum und wurde in den Galerie-Kehlungen mit einer von Franz Heigel angefertigten Aquarell-Kopie des 26teiligen Nibelungen-Frieses der Münchner Residenz von Michael Echter ausgeschmückt. Rechts und links vom Zugang zum Saal stehen Büsten Richard und Cosima Wagners von Gustav Adolf Kietz, vor den Wänden u.a. die von Ludwig II. von 1866 bis 1869 geschenkten sechs Marmorstatuetten der Heldenfiguren aus Wagners Werken von Caspar v. Zumbusch, der auch die monumentale Portraitbüste Ludwigs II. aus Bronze ausführte, die seit Juli 1875 in einem Pflanzrondell die Mitte des Hausvorplatzes beherrscht. Der Saal mit der rd. 2.500 Bände umfassenden Bibliothek Wagners, die er als Bestandteil der Raumgestaltung von dem Bayreuther Buchbindermeister Christian Senfft kostbar hatte einbinden lassen, erhielt eine aufwendige Kassettendecke aus Stuck, in deren Hohlkehle sich seit Wagners Geburtstag am 22.5.1881 ein Zyklus von Städtewappen mit ►Wagner-Vereinen befand, sowie 1882 eine von Paul v. Joukowsky gestaltete Seidentapete. Der östlich an die Halle angrenzende Raum beherbergte Cosimas »Lila Salon«, der gegenüberliegende westliche das Speisezimmer. Die Küche befand sich im Keller, so daß die Gerichte mittels eines Speiseaufzuges nach oben transportiert wurden. Die Südseiten der Seitenflügel erhielten Gästezimmer. Im Obergeschoß befanden sich die Wohn- und Schlafräume der Familie sowie Wagners Arbeitszimmer im Westtrakt, Bade- und Ankleidezimmer waren in einem niedrigen Zwischengeschoß der Seitenflügel untergebracht. Beherrschendes gestalterisches Element der Eingangsfront ist oberhalb der erwähnten Schrifttafeln der Treppenaufgang zum zentralen, zweiflügeligen Hauseingang sowie im oberen Bereich des Mittelrisaliten ein Sgraffito von Robert Krausse, welches eine Allegorie auf das »Kunstwerk der Zukunft« darstellt.

Am 28.4.1874 wurde das Haus von Wagner mit seiner Familie bezogen. Am 4. Mai notierte Cosima in ihrem Tagebuch den Einfall Wagners und damit erstmals den Namen des Hauses »Wahnfried«. Am 7. Mai fiel Wagner der Taufspruch ein, den er als Entwurf für die drei Marmorplatten notierte, die am 17. Juni eingesetzt wurden. Der Saal wurde jedoch erst am 27. Juni fertiggestellt. Erst Ende Juli 1874 waren Einrichtung und Ausgestaltung im wesentlichen abgeschlossen. Wagner selbst lieferte eine ausführliche Beschreibung des Hauses und des Lebens darin in einem Brief an Ludwig II. vom 1.10.1874. Am 21.11.1874 vollendete Wagner in Wahnfried mit der Götterdämmerungs-Partitur den Ring des Nibelungen, am 25.12.1878 fand im Rahmen eines weihnachtlichen Hauskonzerts aus Anlaß von Cosimas Geburtstag im Saal die Uraufführung des Parsifal-Vorspiels statt. Wahnfried diente nicht nur als Wohn- und Arbeitsstätte Wagners, sondern besaß von Anfang an auch eine Vielzahl gesellschaftlicher und repräsentativer Funktionen wie Empfängen, Besuchen, Besprechungen, Festen und Feiern familiärer und offizieller Art, Hauskonzerten und geselligen Veranstaltungen bis hin zu Repetitionsproben in der Halle. So wurde der Name des Hauses alsbald zum enigmatischen Inbegriff für die Familie Wagner ebenso wie für den Kunst- und Kulturgedanken Wagners und des Bayreuther Kreises. Damit hatte auch der sich immer stärker ideologisch ausprägende Wagnerismus seine konkrete Verortung gefunden. Bei einem Besuch der Baustelle am 14.3.1873 hatte Wagner Cosima im Garten auch »die Stelle [gezeigt], wo er wünscht, daß unser Grab zu stehen komme, wo wir beide allein nebeneinander ruhen!« (Cosima-Tagebücher I, S. 653). Die Gruft am Südende des Gartens zum Hofgarten hin wurde am 8.8.1873 vollendet. Nach seinem Tod in Venedig am 13.2.1883 wurde Wagner hier am 18.2.1883 beigesetzt. Cosima wurde nach ihrem Tod im 93. Lebensjahr am 1.4.1930 am 3.4. in Coburg eingeäschert und ihre Urne in der Südseite des Grabhügels bestattet.

1894 ließ sich Siegfried Wagner das östliche Nebengebäude in der Art einer kleinen Villa in italianisierendem Neurenaissance-Stil zum eigenen Wohnhaus umbauen, das 1932 von Hans Reissinger um einen Flachbau an der Nordseite erweitert und durch einen Verbindungstrakt an der Südwestseite mit Wahnfried verbunden wurde. Nach Siegfried Wagners Tod am 4.8.1930 diente es seiner Witwe Winifred als Gästehaus, u.a. für Arturo Toscanini (1931), Richard Strauss (1933/34) und Adolf Hitler (1936-38). Am 5.4.1945 wurde Wahnfried bei einem der britischen Luftangriffe auf Bayreuth durch den Einschlag einer Fliegerbrandbombe aus südlicher Richtung in den Saal zur Hälfte zerstört: der Saal samt Rotunde und darüberliegender Etage sowie der südöstliche Teil des Hauses wurden weggesprengt. Dabei wurde sämtliches originale Interieur und Mobiliar vernichtet, zum Glück jedoch nicht die kurz zuvor ausgelagerte Bibliothek sowie Gemälde und Dokumente des ►Richard-Wagner-Familienarchivs mit den Partituren Wagners. Nach der Besetzung Bayreuths durch die amerikanischen Truppen am 14.4.1945 diente das erhalten gebliebene und beschlagnahmte Siegfried-Wagner-Haus bis 1957 als CIC-Hauptquartier und Offizierskasino. 1949 wurde Wahnfried durch Abmauerung der offenen Seiten nach einem Entwurf Hans Reissingers provisorisch-nüchtern und unvollständig wiederhergestellt, um es für Wohnzwecke der Familie nutzbar zu machen. Nur die Eingangsfassade blieb erhalten, während der restliche Teil des Hauses modern erneuert wurde und so nur noch wenige Elemente der ursprünglichen Raumeinteilung und Gestaltung erhalten blieben. In diesem Zustand verblieb das Haus 25 Jahre lang und wurde bis zu Wieland Wagners Tod 1966 von ihm und seiner Familie bewohnt. Winifred Wagner wurde nach dem Abzug der amerikanischen Truppen 1957 das Siegfried-Wagner-Haus zurückgegeben, wohin sie aus ihrem »Exil« in Oberwarmensteinach im Fichtelgebirge bis zu ihrem Tod 1980 zurückkehrte. Im Zuge der Gründung der ►Richard-Wagner-Stiftung am 1.5.1973 ging Wahnfried durch Schenkungsurkunde vom 24.4.1973 in das Eigentum der Stadt Bayreuth über, die es wiederum der Richard-Wagner-Stiftung als Dauerleihgabe zur musealen Nutzung zur Verfügung stellte. 100 Jahre nach der Fertigstellung und dem Einzug Richard Wagners begann unter der obersten Bauleitung Wolfgang Wagners und dem verantwortlichen Architekten Helmut Jahn der originalgetreue Wiederaufbau des Hauses Wahnfried, der zum 100jährigen Jubiläum der Bayreuther ►Festspiele mit der Eröffnung des ►Richard-Wagner-Museums am 24.7.1976 abgeschlossen werden konnte. Im Siegfried-Wagner-Haus, von der Stadt Bayreuth für 600.000 DM erworben, befindet sich seit 1992 die Verwaltung des ►Richard-Wagner-Museums mit ►Nationalarchiv und Forschungsstätte der ►Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth, des Jean-Paul- und des Franz-Liszt-Museums der Stadt Bayreuth samt Archiv-, Depot- und Benutzerräumen unter der Leitung von Dr. Sven Friedrich.

 

Nach fünf Jahren Schliessung für eine umfassende bauliche und technische Sanierung und Modernisierung, Erweiterung durch einen Museums- und Depotneubau sowie vollständige museale Erneuerung mit einem Gesamtvolumen von rd. 20 Mio. Euro wurde das Richard Wagner Museum am 26. Juli 2015 neu eröffnet.

 

 

Literatur

König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel, hrsg. v. Wittelsbacher Ausgleichs-Fonds und Winifred Wagner, bearbeitet von O. Strobel, Karlsruhe 1936. · H. Habel, Festspielhaus und Wahnfried. Geplante und ausgeführte Bauten Richard Wagners, München 1985. · C. Wagner, Die Tagebücher, editiert und kommentiert von M. Gregor-Dellin und D. Mack, München 1976/77.