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Wagner-Vereine

Bereits am 1.6.1871 gründete der Musikalienhändler Emil Heckel in Mannheim den ersten »Richard-Wagner-Verein«. Damit erhielt die Bayreuther Patronatsbewegung, die sich unter der Geschäftsführung Karl Tausigs aus vermögenden, oft adligen Kreisen rekrutierte, ein Gegenstück an der bürgerlichen Basis, aus dem sich bis zu den heutigen ►Wagner-Verbänden das in seiner Dauerhaftigkeit und Verbreitung kulturgeschichtliche Unikat einer institutionell organisierten, internationalen Künstleranhängerschaft entwickelte. Der »Wagnerismus« erhielt so neben der ideologisch-programmtischen Richtung des »Bayreuther Kreises« und seiner »Bayreuther Blätter« sowie der ökonomischen Verankerung des Festspielbetriebs im Patronatsverein und damit einer geistigen und wirtschaftlichen Elite ein breites soziales Fundament im Kulturbürgertum, welches die Anhängerschaft an Wagners Kunst in ihrer institutionalisierten Organisationsform vor allem bis zur Jahrhundertwende zu einem beträchtlichen ästhetischen, aber auch politisch-weltanschaulichen Identifikations-, Kommunikations- und Orientierungsfaktor werden ließ. Der Zweck des Mannheimer Wagner-Vereins war indessen v.a. die Förderung der Bayreuther Ring-Aufführungen 1876 durch die Erwerbung von Patronatsscheinen, womit sein Bestand zunächst durchaus als zeitlich befristet geplant war. Die an die Erwerbung von Patronatsscheinen geknüpften Kartenanrechte wurden unter den Mitgliedern verlost. Im August 1871 konstituierten sich nach diesem Vorbild auch Vereine in München und Leipzig. Die geplante Vereinigung der lokalen Gruppierungen zu einem nationalen, zentral von Mannheim aus gelenkten, wenngleich föderativ organisierten »Deutschen Wagner-Verein« scheiterte jedoch. Bereits ein Jahr später hatten sich allerdings weitere Wagner-Vereine in Bayreuth, Berlin, Boston, Brüssel, Köln, Darmstadt, Dresden, Florenz, Frankfurt/Main, London, Mainz, Nürnberg, Pest, Regensburg und Weimar gegründet. Seit 1872 gab es auch einen »Akademischen Wagner-Verein« in Berlin, später auch in Wien, der seine Aufgabe jedoch im Unterschied zu den übrigen Vereinen eher in der geistig-publizistischen Pflege und Propaganda des Bayreuther Kulturgedankens als Kultur- und Bildungsauftrag begriff.

Nach dem frühen Tod Karl Tausigs im Alter von nur 29 Jahren am 17.7.1871 übertrug Wagner die Verwaltung der Patronatsgelder und die Organisation des Festspielunternehmens dem »Verwaltungsrat der Bayreuther Bühnenfestspiele«, der v.a. aus Bayreuther Vertrauten Wagners wie dem Bankier Friedrich Feustel, dem Oberbürgermeister Theodor Muncker und dem Finanzverwalter und Rechtsberater des Hauses Wahnfried Adolf von Groß bestand. Erst nach den ersten Festspielen, die mit einem beträchtlichen Defizit von 148.000 Talern geendet hatten, lebte der Patronatsgedanke wieder auf. In einem Rundschreiben an die Vorstände der Richard-Wagner-Vereine Anfang Januar 1877 (Sämtliche Schriften und Dichtungen Bd. 10, S. 11ff.) legte Wagner seine Vorstellung eines Zusammenschlusses der Wagner-Vereine zu einem »Patronatverein zur Pflege und Erhaltung der Bühnenfestspiele in Bayreuth« dar. Hierbei waren jedoch Einflüsse auf die Festspielleitung sowie den Verwaltungsrat und damit auf die künstlerischen oder wirtschaftlichen Belange der Festspiele von vorneherein unerwünscht. Nachdem Wagner im Umkreis der Parsifal-Uraufführung allerdings Bestrebungen zur Erlangung einer Teilhabe am Festspielunternehmen festzustellen glaubte, und er im Sinne seiner Regenerationsidee die Aufgabe und Zukunftsträchtigkeit künftigen Wagnerianertums ohnehin eher in der geistig-ideologischen Bildungs-Vereinigung mit Ordens- oder gar Sektencharakter sah statt in einem bürgerlich-materiellen Patronat, wurde der Patronatsverein Ende 1882 schließlich wieder aufgelöst.

Nach Wagners Tod führte die Initiative des Münchner Wagner-Vereins – namentlich seines 2. Vorsitzenden Ferdinand Graf Sporck – gemeinsam mit dem »Wiener Akademischen Wagner-Verein« bei einer Delegiertenversammlung in Nürnberg am 14.5.1883 zur Gründung eines »Allgemeinen Richard-Wagner-Vereins« (ARWV) als neue Dachorganisation der verstreuten Wagnergefolgschaft zur materiellen Sicherung des Bayreuther Werkes mit Hilfe einer vorfinanzierenden Anhängerschaft. 1884 beschloß die Generalversammlung die Errichtung einer ►»Richard-Wagner-Stiftung«, deren Hauptgegenstand die Festspiele und das Festspielhaus sein sollten. Dies hätte allerdings die faktische Entmachtung der Familie Wagner von der Festspielleitung bedeutet, weshalb diese eine solche Stiftung ablehnte. Bis 1890 hatten sich in den 380 lokalen Organisationen des ARWV mit 24 Zweigvereinen rd. 8.000 Mitglieder organisiert. Je mehr sich die Festspiele in den Folgejahren allerdings wirtschaftlich und kulturell etablierten, um so weniger mußten Wahnfried und Verwaltungsrat Rücksicht auf die Ansprüche und Erwartungen der Wagner-Vereine nehmen, die so zunehmend ihre ursprüngliche Legitimation und Zweckbestimmung verloren. Als 1891 eine bis dahin nicht gekannte Kartennachfrage einsetzte, wurde der ARWV vom Verwaltungsrat der Festspiele darüber nicht einmal informiert, so daß viele Vereinswagnerianer keine Karte erhielten. Dieser Ausweis faktischer Bedeutungslosigkeit der Wagner-Vereine für die Festspiele führte bei der Generalversammlung im Juli 1891 zu einem Eklat, der das Ende des ARWV besiegelte: die Mitgliederzahl sank bis 1896 um mehr als die Hälfte auf 3.726, nach und nach löste sich ein Zweigverein nach dem anderen auf, darunter am 6.3.1901 auch der älteste Wagner-Verein in Mannheim. »Wagner führte 1882 den Bruch mit den Vereinen herbei, nachdem seine politischen und religiösen Ideen dort nicht den rechten Boden gefunden hatten und ersetzte sie durch die gläubige Lesegemeinde der [Bayreuther] Blätter [unter der geistigen Führung Hans v. ►Wolzogens und des ►Bayreuther Kreises, während die Belange des Festspielunternehmens unter Wahrung der alleinigen Leitungsfunktion der Familie nach wie vor fest in den Händen des Wahnfried nahen und unbedingt ergebenen Verwaltungsrats konzentriert verblieben, Anm. d. Verf.]. Diese organisatorische Trennung von bildungsbürgerlicher Nachfolge des Meisters als Kulturphilosophen und einem in dieser Hinsicht unbedarften Vereinsgros wiederholte sich [...] in der Verlagerung bildungsbürgerlicher Potenzen vom [...] Allgemeinen Richard-Wagner-Verein in wagnerianisch inspirierte Gesellschaften und Bünde. So dokumentiert die Geschichte der Wagnervereine den Prozeß sozialer Differenzierung innerhalb des deutschen Bürgertums wie, damit Hand in Hand gehend, seiner fortschreitenden Entliberalisierung.« (Veltzke, S. 402.) Erst mit der Gründung des »Richard-Wagner-Verbands deutscher Frauen« 1909 fand das organisierte Wagnertum in der Förderung und Unterstützung der »Richard-Wagner-Stipendienstiftung« einen neuen Zweck, der über den bloß sozialen und kommunikativen Aspekt des Vereinslebens hinausging und so zum Ausgangspunkt der bis heute bestehenden ►Wagner-Verbände wurde.

 

Literatur

V. Veltzke, Vom Patron zum Paladin. Wagnervereinigungen im Kaiserreich von der Reichsgründung bis zur Jahrhundertwende, Diss. Bochum 1987.

Richard-Wagner-Verband

Seit der ersten Gründung in Mannheim 1871 gab es schon zu Wagners Lebzeiten zahlreiche ►Wagner-Vereine. 1909 wurde in Leipzig der »Richard-Wagner-Verband deutscher Frauen« mit dem Ziel gegründet, das Kapital der »Richard-Wagner-Stipendienstiftung« bis zum 100. Geburtstag Wagners 1913 als »Nationaldank« auf 1 Mio. Mark erhöhen zu helfen. Wagner selbst hatte noch ein Jahr vor seinem Tod in einem Brief an Friedrich v. Schön vom 28.5.1882 erfolgreich die Errichtung einer solchen Stiftung angeregt, die Unbemittelten den Besuch der Bayreuther Festspiele ermöglichen sollte, um auf diese Weise wenigstens zum Teil sein Ideal des entgeltfreien Zugangs nach dem Vorbild des antiken Theaters zu verwirklichen (Richard Wagner an Freunde und Zeitgenossen. Hrsg. v. E. Kloss, Leipzig 1912 [= Richard Wagners Briefe in Originalausgaben, Zweite Folge, Band XVII], S. 597): »Da wir nun jetzt durch die Noth der letzten Erfahrungen wieder dahin gedrängt worden, die Fortdauer der Bühnenfestspiele durch Überlassung des Zuschauerraumes an das reichlich zahlende Publikum zu versuchen, und werden demnach [...] vorzüglich nur Reiche in unser Theater eingelassen werden müssen, so stellt es sich mir nun als die erste und allerwichtigste Aufgabe für ein neuzubildendes Patronat dar, die Mittel zu beschaffen, um gänzlich freien Zutritt, ja nöthigen Falles die Kosten der Reise und des fremden Aufenthaltes, Solchen zu gewähren, denen mit der Dürftigkeit das Loos der Meisten und oft Tüchtigsten unter Germaniens Söhnen zugefallen ist.« (R. Wagner: Offenes Schreiben an Herrn Friedrich Schön in Worms, Sämtliche Schriften und Dichtungen Bd. X, S. 295.). 1913 hatte die Richard-Wagner-Stipendienstiftung durch die Tätigkeit des »Richard-Wagner-Verbands deutscher Frauen« unter der Leitung von Margarethe Strauß und anderer »Nationaldank-Gruppen« schließlich ein Kapital von 750.000 Mark erreicht. So hatte die Stiftung von 1882 bis einschließlich 1914 aus ihren laufenden Einnahmen bereits 3.300 Stipendien vergeben können. Anders als verschiedene andere Nationaldank-Gruppen, die sich mit dem Erreichen dieses Ziels bestimmungsgemäß auflösten, beschloß der Frauenverband, auch weiterhin für den Stipendiengedanken zu wirken, auch und v.a. nach der Inflation in den zwanziger Jahren. Nachdem mittlerweile zahlreiche Ortsvereine des »Richard-Wagner-Verbands deutscher Frauen« entstanden waren, übernahmen diese zunehmend die Aufgaben und Funktionen des v.a. nach dem Ende des »Allgemeinen Richard-Wagner-Vereins« (►Wagner-Vereine) marode dahindämmernden Wagner-Vereinswesens.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden am 14.9.1949 alle deutschen Wagner-Vereine im Wagner-Verband zusammengeführt, am 21./22.9.1949 wurde die »Gesellschaft der Freunde von Bayreuth« zur finanziellen Unterstützung der Festspiele gegründet. Während diese sich als Vereinigung finanzkräftiger Mäzene der Festspiele versteht, die 1973 auch als Mitstifterin der ►Richard-Wagner-Stiftung fungierte und demnach ein Stimmrecht im Stiftungsrat und dadurch Einfluß auf die Festspiele besitzt, organisieren sich nichtmezänatische Wagner-Freunde in den als eingetragene Vereine selbständigen Ortsverbänden, die mit den Bayreuther Festspielen und der Richard-Wagner-Stiftung zwar ideell, nicht aber organisatorisch oder finanziell verbunden und von diesen daher unabhängig sind. 1991 wurde der »Richard-Wagner-Verband International« (RWVI) als länderübergreifender Dachverband der lokalen Ortsverbände gegründet. Der RWVI vereinigt heute unter dem Vorsitz von Josef Lienhart weltweit 136 regionale Wagner-Verbände mit insgesamt rd. 35.000 Mitgliedern (davon 47 Ortsverbände in Deutschland mit rd. 10.000 Mitgliedern). Damit bilden die im RWVI organisierten Wagner-Verbände eine weltweite Kultur-Vereinigung, die in ihrem Umfang und ihrer Verbreitung einzigartig ist. Alljährlich finden – zumeist im Mai – an wechselnden Orten internationale Richard-Wagner-Kongresse statt sowie Gesangswettbewerbe für junge Wagner-Stimmen. In der Tradition des »Richard-Wagner-Verbands deutscher Frauen« ist die Unterstützung der Stipendienstiftung als Förderung des künstlerischen Nachwuchses neben der Verbreitung des Verständnisses für die Werke Wagners die Hauptaufgabe der Wagner-Verbände, die heute jährlich 250 Stipendien für begabte angehende Musiker, Sänger oder andere Bühnenschaffende zwischen 18 und 35 Jahren aus dem In- und Ausland vergeben, die als Nachwuchs für Orchester oder Bühne der Bayreuther Festspiele in Frage kommen.